Claus Schönleber

15 Jahre: You never died, say we

Wau

Anfang 1993 war ich noch ein Newbie, ich betrieb unter DOS ein Waffle - später ein Xenix - und war ein übermütiger und vorlauter Teilnehmer im Usenet. Kurz vorher hatte ich, auf Anraten einiger Bekannter, den CCC 1992 in Hamburg besucht und war etwas enttäuscht. Im Nachhinein berichtete man mir, daß es langjährigen Besuchern des Kongresses wohl auch so gegangen war, aber für mich war das Ereignis signifikant. Einerseits, weil es meinen Ehrgeiz anstachelte, etwas besseres zu schaffen und andrerseits, weil ich dadurch jemanden kennenlernte, mit dem mich später eine jahrelange Freundschaft verband. Man verstand sich einfach.Vielen erging es so. Dabei war und bin ich kein "Hacker", kein besonderer Experte. Ich weiß bis heute keinen Grund dafür, aber es ist auch nicht wichtig, denke ich. Der Kieler Kongreß fand 1994 das letzte Mal statt, mit Wau traf ich mich dagegen bis kurz vor seinem Tod häufiger.

Im Frühjahr 1993 trafen sich einige Gruppen, darunter durch meine Initative auch der Verein Toppoint in Kiel, die einen eigenen Kongreß aufbauen wollten. Jeder aus unterschiedlichen Motiven, aber mit derselben Intensität. Es war, als konzentrierte sich zu diesem Zeitpunkt besondere Energie an einem einzigen Punkt, und so entstanden die "Kieler Netztage ´93 und ´94", die einigen noch in Erinnerung sein mögen wegen ihrer ungewöhnlichen Zusammenstellung des Publikums - Hacker, Wissenschaftler und Firmenvertreter fanden sich friedlich diskutierend an der Ostsee ein -, den meisten wird die Veranstaltung auch wegen des über ein Jahr verspäteten Kongreßbandes wieder in den Sinn kommen (ja, der Verlag Claus Schönleber, das bin ich).
 
Bild 1: Wau auf dem CCC-Podium im Haus am Kölnischen Park, Berlin

Als der Kongreß vorbei war, wurde mir langsam bewußt, daß ich all die Namen, die ich sonst nur in Newsartikeln las, in Kiel kennengelernt hatte. Ja, auch Herr von Gravenreuth war dort. Das beeindruckendste Erlebnis aber war Wau Holland. Bisher war mir der Name aus den Hackerbibeln 1 und 2 bekannt, nun trank ich ein Bier mit ihm und den anderen auf der Abschlußveranstaltung nach dem Kongreß. Ein Freund schoß ein Foto von uns beiden mit einer der ersten Digitalkameras in grün/schwarz, aber ich habe das Foto nie von ihm bekommen.

In den folgenden Jahren traf ich Wau öfter auf dem CCC, der Sommerakademie des Schleswig-Holsteinischen Datenschützers, auf der CeBit und anderen Veranstaltungen, und wir hatten mit der Zeit die Gewohnheit entwickelt, uns zu treffen, wenn wir in derselben Stadt waren. Ein e-mail oder ein Anruf auf seinem Handy reichten aus.
 
Bild 2: Während einer Zwischenlandung in Berlin-Tegel im Januar 2001 traf ich Wau in einem Imbiß vor dem Flughafengebäude. Wie üblich, brachte er mir eine Ausgabe der Datenschleuder mit. Während ich auf ihn wartete, knipste ich ein wenig den idyllischen Flughafen. Ihn leider nicht. Dafür haben wir uns über interessante Themen unterhalten.

Unvergeßlich ist mir sein Vortrag auf der Sommerakademie 1998 - Wau war mein Kovortragender zum Thema "Wie arbeiten Tiger-Teams?" -, in dem er das Publikum völlig ab vom Thema mit einen Rundumschlag seiner Thesen überfiel; niemand nahm ihm das aber übel, im Gegenteil, der chaotische Aspekt lockerte die (hier notwendigerweise) recht reglementierte Situation erfrischend auf. Im Jahr darauf war er wieder geladener Gast und es entstand das Foto mit ihm auf dem Polizeiboot vor dem Gebäude der Wasserschutzpolizei Kiel, in dem damals auch der Landesdatenschutzbeauftragte seine Dienstelle hatte. Wau, Christiane Schulzki-Haddouti und ich liefen an dem Polizeischiff vorbei und alberten herum, als Wau plötzlich auf das Polizeischiff kletterte und sich zum Foto stellte. Während Christiane und ich unsere Bilder machten, kam ein weiteres Polizeiboot und legte daneben an. Die Beamten sahen Wau auf einem ihrer Schiffe und die beiden verrückten Fotografen, schauten sich gegenseitig an und gingen - leicht kopfschüttelnd - ansonsten aber ungerührt in ihre Dienststelle, uns weiterhin völlig ignorierend. Christianes Version zierte zwischenzeitlich die Titelseite von Wauland.

 
Bild 3: Auf der Sommerakademie 1999 stellte sich Wau urplötzlich auf dieses Boot der Wasserschutzpolizei und stellte sich Christiane und mir zum Phototermin.

Die letzten Male, als ich Wau traf, waren Ende September 2000 zur Veranstaltung "Bürger - Netze - Daten" der Volkshochschule Kiel und des Bürgernetz für Schleswig-Holstein, Anfang Januar 2001 während einer Zwischenlandung in Berlin und am 27.03.2001 auf der CeBit, wo ich Wau auf die CCC-Aktion im Zusammenhang mit dem Siemens-Smartfilter aufmerksam machte. Gemeinsam schauten wir uns das Spektakel dann an.
 
Bild 4: Auf der CeBit 2001 (27.03.) in Hannover schauten Wau und ich uns gegen 14 Uhr die CCC-Aktion auf dem Siemens-Stand an. Trotz seiner auffälligen Kleidung konzentrierten sich  Zuhörer stets auf den Gesprächsinhalt, nie wirklich auf Äußerlichkeiten.

Immer war es Waus Persönlichkeit, die auf die Anwesenden wirkte. Das Publikum nahm ihm seine Off-Topics nie übel, im Gegenteil. Viele nahmen neue Anregungen mit nach Hause. Die Wasserschutzpolizisten, die ihn auf dem Boot sahen, kamen nicht heran, um ihn wegzujagen (wie sie es wohl mit anderen getan hätten), Kongresse und andere Veranstaltungen luden ihn als Vortragenden oder Diskussionspartner ein, obwohl er nie beschlipst auftrat, lieber in seiner selbstgenähten hellen Latzhose, deren kapazitativen Funktionalitäten er jedem interessierten Menschen gerne erklärte oder in seinem afrikanischem Festkleid, das er mal geschenkt bekommen hatte. Wenn er irgendwo übernachtete, war dort seine Operationsbasis. Konventionelle Verhaltensregeln galten dann nicht. Ganz schnell konnte die Gastwohnung zum Chaostreff avancieren, fremde Leute klingelten plötzlich und verlangten nach Wau, oder er brachte einfach irgendwen mit, der dann eben mitverköstigt wurde. Wer sich mit Wau einließ, mußte in jeglicher Hinsicht konventionelle Pfade zu verlassen bereit sein.

Nicht zuletzt seine höchst ungewöhnliche, kreative und scharf analysierende Sicht auf die Welt war es, die seinen Gesprächspartnern ständig höchste Konzentration abverlangten, wie zum Beispiel die provokante These, daß es mal eine Zeit gab, in der das Aufstellen von Satellitenschüsseln zum TV-Empfang höher bestraft wurde als das Zünden einer Atombombe (jedenfalls laut Strafgesetzbuch). Seine Kreuzrecherchen, die Fähigkeit, unerwartet Zusammenhänge aufzudecken oder Dinge zueinander in Relation zu bringen, an die man vorher nicht gedacht hatte, das waren die Kernpunkte, welche die Faszination Wau ausmachten.

Sein Engagement galt zum Schluß der Jugend, er arbeitete mit Jugendlichen im Bereich EDV, versuchte ihnen, einen gesamtheitlichen Blick auf die Gesellschaft zu vermitteln und bemühte sich, seine Vorstellung vom Umgang miteinander weiterzugeben - er war überzeugter Vertreter der Deeskalation, die er meisterhaft beherrschte. "Die höchste Form der Gewalt, die ich toleriere, ist sich gegenseitig mit Wattebäuschchen zu bewerfen", so Wau. Er wohnte sogar eine zeitlang mit Schülern in einer WG. Die zu verlassen bedauerte er wohl am meisten, als er nach Berlin zog.
 
Bild 5: Wau in Kiel. Als ich ihn im Herbst 2000 vom Zug abholte (für die Bürgernetzveranstaltung), wollte er auf dem Weg aus dem Bahnhof das Gepäckförderband herunterfahren.

Mir haben die Jahre, in denen ich Wau kannte - es sind acht Jahre geworden - viel gegeben. Im Denken und im menschlichen Bereich. Am besten wahrt man sein Andenken, indem man das unkonventionelle Denken pflegt, den Zweifel an dem, was "allgemeine Erkenntnis" ist, hegt und den "gesunden Menschenverstand" durch kreativen Umgang mit der Realtität ersetzt.

Wau, wir vermissen Dich sehr!


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